Het volgende fragment komt uit de roman Der Drohnenpilot (2017) van Thorsten Nesch. Het grootste gedeelte van dit fragment denkt de 17-jarige Darius terug aan afgelopen oudejaarsavond, toen hij verliefd werd op Evelyn.
Ich lief fünfzig Meter die Straße runter vorbei an zahllosen Flaschen, aus denen Raketen gen Himmel stiegen, und im dichten Schwefelqualm um mich herum explodierten Böller und Knallfrösche, denen ich auswich, indem ich Haken schlug oder hochsprang.
Als neben mir auf dem Bürgersteig eine ganze Salve Raketen aus einem leeren Bierkasten abgefeuert wurde, blieb ich stehen und schaute ihnen nach, wie sie in den orange lodernden Nachthimmel stiegen und in allen Farben explodierten. Am liebsten hätte ich mich an einer von ihnen angebunden.
Jemand tippte mir auf die Schulter. >>Happy New Year!< , sagte Evelyn, ohne meinen Namen, aber mit einem Lächeln und anschließender Umarmung.
>>Happy New Year< , sagte ich und versuchte, ihr dabei trotz des Lärms nicht ins Ohr zu schreien, obwohl mir danach war. Und ich wollte sie bloß nicht zu fest oder zu lange umarmen, obwohl mir danach war.
Mit ihr hatte ich damals nicht gerechnet, ich hatte gar nicht mehr an sie gedacht. Wir kannten uns seit dem Kindergarten, und wir spielten in der Grundschule miteinander, aber seit der fünften oder sechsten Klasse wechselten wir eigentlich nur ein paar peinliche Worte, wenn wir uns zufällig auf der Straße sahen.
Tina, ihre Mutter, winkte mir zu, ein Mann füllte ihr Sektglas nach, sie hielt zwei weitere Becher. >>>Soll.. .ir anst.sen?< , fragte Evelyn zu leise gegen den Lärm der Raketen. Ich musste die verlorenen Buchstaben in meinem Kopf ergänzen. »Ja.<<<
Evelyns Mutter wartete schon mit zwei Bechern Sekt auf uns. Um uns herum filmten Leute mit ihren Devices das Feuerwerk, sich gegenseitig und sich selbst. Ich hatte meins gar nicht mitgenommen. Dass ich es zu Hause ließ, kam selten vor, aber ich befand mich in guter Gesellschaft, weder Evelyn noch Tina oder ihr Bekannter trugen ihre bei sich.
>>>Hey, Träumer.<<< Evelyns Mutter hob ihr Glas. >>>Auf ein frohes neues Jahr!<<<
Wir wiederholten >>>>Auf ein frohes neues Jahr!<«, stießen an und tranken. Über uns ein Stakkato explodierender Böllerblumen und kunterbunter Funkenregen.
Ein Kanonenschlag landete neben unseren Füßen und sog mir die Luft aus den Lungen. Evelyn zerrte mich am Arm weg über die kleine Wiese, vorbei an den Müllcontainern in die Einfahrt zwischen den Häusern. Hier war es etwas stiller.
Wir redeten die ganze Nacht lang, ich glaube, wir hatten uns seit der vierten Klasse nicht mehr so lange unterhalten. Sie hatte das Schuljahr damals gerade so geschafft. Im Frühjahr hatte sie unter akutem Asthma gelitten zum Glück ein einmaliger Anfall - und war wochenlang nicht in die Schule gekommen. Ich hatte ihr jeden Nachmittag die Hausaufgaben gebracht, weil ich nebenan wohnte. Die Leute müssen gedacht haben, ich wäre ein Familienmitglied, Geschwister sehen sich oft weniger, als wir uns gesehen haben. Und vielleicht war es genau diese extreme Nähe, die uns auseinanderdriften ließ.
Und wäre unsere Unterhaltung alles in dieser Nacht gewesen, es hätte wirklich gereicht, dieses Silvester in mein schönstes Silvester zu verwandeln, doch zum Abschied gegen drei Uhr setzte sie noch eins drauf und küsste mich überraschend auf die Wange. Ich küsste sie zurück und dann küssten wir uns auf den Mund und mein Kopf explodierte wie der Urknall aller Silvester.
So ist das Leben. Man weiß nie, wann man ganz unten angekommen ist, und man weiß nie, wann man von dort wieder wegkommt. Und was noch schlimmer ist, man kann es sich nicht auch nur vorstellen.
Hinter dem Schleier meiner tagträumenden Augen bewegte sich etwas. Mit einem Schlag befand ich mich wieder in der Gegenwart, in meinem Zimmer am Fenster.
Unten auf der Straße, dort, wo ich sie treffen wollte, wenn ich ihr entgegengegangen wäre, sah ich Evelyn, mit ihrem stets leicht federnden Schritt.
Ich spürte, wie schwer und lange mein Kopf an der Wand gelehnt hatte. Beinahe befiel mich Schwindel, die Wände des Hauses hatten sich über die letzten zwei Wochen aufgeheizt, es war stickig.
Ich schnappte mir mein Device-Bag, hakte es an meinen Gürtel und rannte aus der Wohnungstür die Treppe runter. An der Haustür bremste ich ab und zog sie gelangweilt langsam auf, wobei ich beim Rausgehen meinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung wandte, dannach, wie zufällig - bemerkte ich Evelyn, als ich den Bürgersteig erreichte. Sie lächelte mich ins absolute Glück. Hoffentlich hatte sie Zeit.