Uniforscher bieten kostenlose Smartphone-App an, mit der man sein eigenes Verhalten kontrollieren kann
(1) Hierzulande wird immer öfter und länger im Internet gesurft, wie es die jüngste Onlinestudie von ARD und ZDF zutage förderte. Im Schnitt verbringen wir so täglich 227 Minuten im Internet. Und dies geschieht ebenfalls mit einem Trend nach oben auch oft mobil über das Smart- phone. „Durch die gestiegene Internetnutzung hat auch die Zahl der Menschen mit einer diesbezüglichen Suchtstörung zugenommen, wie wir aus Befragungen wissen", konstatiert der Lübecker Forscher Prof. Hans- Jürgen Rumpf.
(2) Wie ausgeprägt ist das enthemmte Nutzen des Webs? Der Experte aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie nennt Zahlen: „Wir gehen davon aus, dass Schätzungen zufolge zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung von einer Internetnutzungsstörung betroffen sind und nochmal zehn Prozent bereits als gefährdet gelten." Dabei seien die Übergänge von gesunder zu problematischer oder suchtartiger Nutzung fließend und entstünden oft unbemerkt.
(3) Und wann wird es 4 _____? „Es gibt drei zentrale Merkmale", erläutert der wissenschaftliche Studienleiter, „das erste ist, wenn man die Kontrolle verliert, wie lange und wie oft man online ist und in welchen Situationen. Das zweite ist, dass das Internet zur Priorität im Leben wird, also alles andere im Alltag, wie Hobbys nachgehen oder Freunde treffen, zurückstehen muss, weil diese Aktivität wichtiger geworden ist." Als dritten Aspekt nennt Rumpf die Auffälligkeit, dass Betroffene ihr Sucht- verhalten auch dann nicht ändern, wenn sie selbst feststellen müssen, dass sich daraus negative Konsequenzen für sie ergeben. „Man ist weniger leistungsfähig, man vereinsamt oder hat deswegen Stress mit anderen, macht aber trotz dieser negativen Folgen so weiter wie bisher", so Rumpf.
(4) Die Forscher bieten nun im Rahmen einer aktuellen Studie, an der sich bundesweit auch weitere Unis, Betriebskrankenkassen, Therapie- zentren und Gesundheitsdienstleister beteiligen, eine einfach zu bedie- nende smart@net-App an, mit der jede Userin und jeder User prüfen kann, ob mit der eigenen Internetnutzung alles im „grünen" Bereich ist oder ob man vielleicht zu einer problematischen Internetnutzung neigt.
(5) In letzterem Fall erhalten Teilnehmende dabei über vier Wochen hinweg aufschlussreiche und persönlich auf sie zugeschnittene Infos und Rückmeldungen in der App. „Dadurch werden psychologische Prozesse angestoßen, die eine Verhaltensänderung ermöglichen können," erläutert Hans-Jürgen Rumpf die Wirkungsweise der Applikation.
(6) Neben der smart@net-App für das eigene Smartphone erhalten einige Teilnehmende mit auffälliger Internetnutzung noch das Angebot kosten- loser telefonischer Kurzberatungen oder einer kostenlosen Online-Therapie in Kooperation mit den Universitäten Mainz und der Freien Uni Berlin. Teilnehmen kann jeder zwischen 16 und 67 Jahren.
(7) Wenn Eltern sich Sorgen über die Internetnutzung ihrer Kinder machen, empfiehlt er „das-ins-Gespräch-Kommen". „Man sollte so ergründen, was den starken Reiz ausmacht. Zudem gilt: je jünger das Kind, desto mehr Regeln sollten für die Nutzung festgelegt werden. Auch sollten Eltern auf jeden Fall ein Modell sein und so den verantwortungs- vollen Umgang mit digitalen Medien vorleben", führt der Experte aus.
naar: Lübecker Nachrichten, 29.12.2021