Bald fahren sie wieder über den Atlantik: Jugendliche haben an Bord eines Traditionsseglers Schulunterricht und lernen so die Welt besser kennen
(1) „Auf dem Schiff fehlte der Druck zum Lernen", erinnert sich Florentina aus Berlin. „Aber dafür hat in unserem Alltag an Bord zum Beispiel der angewandte Biologieunterricht viel mehr Spaß gemacht, wenn wir uns Fische, Plankton oder Algenteppiche in ihrer natürlichen Umgebung genauer angeschaut haben." Auch die Geschichte des Kolonialismus von Kolumbus bis Kuba - sei sehr spannend gewesen, als sie vor vier Jahren mit 25 anderen Schülern der gymnasialen Oberstufe auf der Route der Entdecker in einer Art „Schule auf Planken" über den Atlantik gesegelt ist.
(2) „Die Quantität an Schulstoff war auf dem Schiff geringer als in der Schule", erinnert Johannes aus Bayern. „Die Qualität war aber viel höher." Er kehrte letztes Jahr von so einer siebenmonatigen Schülerreise auf einem Traditionssegler zurück. Im Geologieunterricht auf dem Atlantik sei anschaulicher als je an Land gewesen, wie die Wind- und Wettersys- teme" wirken, sagt er.
(3) Von eigenen großen Entwicklungen berichten die beiden vor allem bei 34 _____. Im Alltag auf dem engen Schiff, wo es keinen Handyempfang und kein Internet gibt und nur wenig Möglichkeiten, sich aus dem Weg zu gehen, wird die Konfliktfähigkeit und -lösungsfähigkeit gefördert. „Ich habe viel über mich gelernt", sagt Florentina. Sie achte seitdem mehr auf ihr menschliches Umfeld, sei empathischer und reflektierter. „Ich kann heute besser im Team arbeiten und auch Gruppen leiten." Johannes sieht ähnliche Entwicklungen bei sich. „Ich habe einen bewussteren Umgang mit Menschen: Ich nehme mehr von anderen wahr und gehe wertschätzender mit ihnen um."
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(5) Unterbrochen werden die Seereisen von zum Teil mehrwöchigen Landaufenthalten und Exkursionen. Bei Besuchen von Gastfamilien etwa bei Kaffeebauern in Costa Rica oder einer Partnerschule in Kuba wird gleich das gelernte Spanisch praktiziert.
(6) Ruth Merk, die solche Reisen managt, beschrieb das pädagogische Konzept der Reisen kürzlich in einem Podcast als „gleichberechtigte Förderung verschiedener Fähigkeiten", die jeweils stark vom aktuellen Umfeld bestimmt würden: von kognitiv-intellektuell über körperlich und handwerklich bis psychisch einschließlich mancher Grenzerfahrungen. In einem Dreiklang aus „Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Verant- wortung" prägten die Jugendlichen verschiedene Kompetenzen in Teamarbeit innerhalb einer Hierarchie heraus, wie sie zu einem solchen Schiff dazugehört. Dort müsse jede Person für sich und für die Gruppe, aber auch das Material und das Schiff Verantwortung übernehmen. Segelmanöver benötigen klare Ansagen und Koordination, die regelmäßigen Wachen rund um die Uhr sind für die Sicherheit auf See wichtig, und von dem Küchendienst hänge die Versorgung aller ab.
(7) Es ist für die Jugendlichen alles andere als eine Kreuzfahrt, sondern eine Reise voll 38 _____. Denn sie fahren nicht auf einem Schiff mit eigener Kabine, Bedienungspersonal, Swimmingpool, Kinosaal und Fitnessstudio, sondern erarbeiten sich das Segeln, ihre Alltagsorganisation und die Erfahrungen der Reise im Team täglich selbst. Probleme müssen mit vorhandenen Bordmitteln innerhalb der Gruppe gelöst werden. „Man kann nicht einfach in das nächste Geschäft rennen, wenn etwas kaputtgeht", erklärt Merk. Das fördere Kreativität, Selbstbewusstsein und die Zusammenarbeit im Team.
naar: www.taz.de, 21.09.2022